18 Oktober 2011

Wiedersehen mit Roxette macht Freude



Stuttgart - Es gibt Dinge im Leben, die weitaus schlimmer sind, als sich – wie es Roxette auch schon tat – in der Nokia Night of the Proms präsentieren zu müssen, jener Resterampenrevue für abgehalfterte Musiker kurz vor dem finalen Sturz in die Versenkung. Ernsthaft zu erkranken beispielsweise. Dies ist das Schicksal, das Marie Fredriksson widerfuhr, der Sängerin des schwedischen Duos. Ein Hirntumor wurde bei ihr um die Jahrtausendwende tragischerweise diagnostiziert, die Bandaktivität ruhte daraufhin selbstverständlich.
Vor diesem Hintergrund verbietet sich natürlich der Hinweis auf ein sehr langes Loch in der Schaffensphase dieser Band. Dennoch schwirrt im Hinterkopf eine üble Erwartungshaltung herum, die sich nicht ausblenden lässt: hat hier eine Band ein neues Album nur aus dem Grund vorgelegt, um nochmal auf Tour gehen zu können? Und wird sie bei dieser Gelegenheit pflichtschuldig ein paar Nummern aus diesem Album spielen, sich aber mehrheitlich wohldosiert über das Konzert verteilt dem Abfeuern der größten Gassenhauer widmen, auf dass das zahlreich versammelte Publikum selig in Erinnerungen an die eigene Jugend schwelgen kann?

Gar nicht so viele Nostalgiker
Schon der erste Blick in die Schleyerhalle lehrt am Montagabend, dass dem nicht so ist. Allzu viele Nostalgiker scheint es nämlich nicht zu geben, die Arena ist gerade einmal zur Hälfte gefüllt. Das mag man auf die in ihrer Saftigkeit schmerzenden, bei 61 Euro beginnenden Eintrittspreise zurückführen; es könnte auch an der vorhandenen Scheu vieler Menschen vor der Verletzung audiophiler Mindeststandards in dieser für ihre schwierige Akustik bekannten Arena liegen. Letzteres ist, was eigentlich schmerzt. Zum einen wegen der grässlichen Vorband, die offenbar nur ausgewählt wurde, um Roxette hernach in noch strahlenderem Glanz dastehen zu lassen, weswegen das zermürbte Publikum überdies auch noch bis 21 Uhr auf den eigentlichen Auftritt warten musste. Zum anderen aber, weil der Mann am Mischpult den nachmittäglichen Soundcheck offenbar zu einem Cafébesuch genutzt hat. In der Halle kann er bei dieser Gelegenheit jedenfalls nicht herumgewandert sein. In der Mitte, rund um seinen Platz, klang es noch ganz erträglich, im hinteren Teil der Halle völlig inakzeptabel, bizarrerweise war der Sound direkt unter (!) den Lautsprecherboxen in den ersten Reihen am besten.
Abgestraft wurden die Zuschauer auf den „billigen“ Plätzen schließlich durch den Verzicht auf Videowände – auch dies ist bei einem Konzert dieser Größenordnung eigentlich unzumutbar. Alles blöd also? Mitnichten! Wie die glücklicherweise genesene Marie Fredriksson, Per Gessle und die kleine Begleitband ihren Auftritt konzeptionierten, war nämlich sehr überzeugend.




Die Ursachenforschung dazu könnte man bei jenem Slogan beginnen lassen, den Roxette auf der Rückseite ihres dritten Albums „Joyride“ verewigt hat. „Don’t bore us – get to the Chorus" steht dort geschrieben, langweilt uns nicht mit Strophen, sondern kommt zügig zum Refrain: genau das ist es, was die Songs dieser Band stark – und vor allem bleibend gemacht hat. In ihnen werden keine komplexen Sachverhalte abgehandelt, in ihnen dräut keine beißende Gesellschaftskritik, sie wirken wie maßgeschneidert für das stets gut gelaunte Formatradio – aber sie haben eben auch Format.

„The Look“, „It must have been Love“, „Sleeping in my Car“, „Listen to your Heart“, „Joyride“, „Spending my Time“, Crash Boom Bang“ und „How do you do“: acht Songs von Roxette fallen einem umstandslos ein, die noch heute ihren wohlverdienten Platz im Popklassikerkosmos finden. Veröffentlicht wurden sie allesamt in nur sieben Jahren, zwischen 1987 und 1994. Die Band befand sich da zweifelsohne auf ihrem Zenit, es ist aber gewiss kein Zufall, dass der Songwriter Gessle ein studierter Musiker und die Vokalistin Fredriksson eine ausgebildete Sängerin sind. Die Songs sind reif angelegt, dem Gesang fehlt vielleicht betörendes Timbre, nicht jedoch Volumen und Dynamik. Gleiches gilt im übrigen auch für das aktuelle Album „Charm School“, das zwar nicht mit Gassenhauern aufwarten kann, aber nicht grundlos Platz Eins der Albumcharts erklomm. In ihrer Anlage erinnern die dort versammelten Stücke jedenfalls verblüffend an die Alben aus den Neunzigern, und dies ist auch der Grund, warum der Abend in der Schleyerhalle eben nicht den denkbaren statischen Verlauf nahm.

Organisch im Ablauf
Organisch fügten sich die alten und neuen Lieder im Ablauf ineinander. Die Hits wurden natürlich fast alle gut über den Abend verteilt serviert, ohne dass es zwischendurch jedoch – wie so oft in diesen Fällen zu beobachten – zu Stimmungsabfällen oder stilistischen Brüchen gekommen wäre. Selbst die scheint’s bei arrivierten Bands auch schon obligatorisch gewordenen Unplugged-Phasen fügten sich gut in diesen überaus runden Auftritt. Es paarte sich also das Sentiment, die wohlige Erinnerung an lange zurückliegende Jahre mit dem pulsierenden Hier und Jetzt. So etwas funktioniert eben nur deshalb, weil die Stücke von Roxette zeitlose Güte besitzen. Das wiederum ist eine künstlerische Leistung, der man Respekt zollen muss.
Keinen Grund zu feixen gab es folglich, als Per Gessle in der Schleyerhalle seine Ansage „so nice to see so many people here tonight“ in die leeren Ränge hineinschmetterte. Den Publikumszuspruch als relevanten Parameter für den musikalischen Stellenwert eines Auftritts zu bewerten ist ohnehin müßig, mal ganz davon abgesehen, dass verdammt viele andere Musiker wohl ganz gerne ein Konzert vor „nur“ einigen tausend Besuchern geben würden. Und dass es ohnehin viel wichtigere Dinge im Leben gibt, davon kann nicht nur Marie Fredriksson ein Lied singen.

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.konzert-in-der-schleyerhalle-wiedersehen-mit-roxette-macht-freude.764e4cee-0282-4f04-857d-3e3ea92cce87.html

2 Kommentare:

  1. Grässliche Vorband? Die waren doch ok sie Mobilee

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  2. Schön geschrieben und gut auf den Punkt gebracht! Hier meine Version: http://www.bakhshandeh.de/2011/10/21/enjoy-the-joyride-everybody/

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