30 Januar 2012

Bis dass der Tod euch scheidet

Die Uhr tickt. Bald ist es wieder soweit. Valentinstag steht vor der Tür. Die amerikanisch-kapitalistische Erfindung, die den blinden Liebenden das Geld aus den Taschen zieht. Aber das stört mich gar nicht. Kurbelt die Wirtschaft an. Ist doch toll. Mich stört etwas ganz anderes – das Pärchengetue. Sich gegenseitig auffressende Menschen, die mitten vor der U-Bahn-Tür stehend, mit weit aufgerissenen, feuchten Speichelmündern ihre Lippen aufeinander pressen, ihre Zungen gegeneinander rotieren und den anderen den Weg nach draussen versperren. Händchen halten bei Pärchen kann ich ertragen. Mache ich sogar selbst manchmal, wenn es sehr kalt ist, ich keine Hosentaschen besitze und die Handschuhe vergessen habe. Öffentlich knutschen kann ich gerade so akzeptieren, wenn man sich Mühe gibt und nicht so laut schmatzt. Sonst bekomme ich Hunger. Aber alles, was in Richtung Fummeln und wildes Rummachen geht und nicht in einem Club oder in einer Bar statt findet, widert mich wirklich an. Ich find das scheiße. Nein, ich bin nicht neidisch. Ja, ich habe selbst Sex. Nein, ich bin nicht missmutig beim Anblick glücklicher verliebter Menschen. Nein, ich habe kein Problem mit mir. Ja, ihr dürft euch mal einen Kuss auf die Wange oder den Mund geben. Nein ich bin kein kalter, emotionsloser Fisch und auch nicht verbittert. Ja, vielleicht ist an dem Satz etwas dran: „Umso größer die Zuneigung in der Öffentlichkeit, umso größer die Probleme in der Beziehung.“ Ja, normalerweise ist es mir egal, aber am Valentinstag regt es mich auf. Nein, ich wurde in letzter Zeit nicht verletzt. Aber ja, es regt mich auf, für diejenigen die gerade verletzt worden sind und sich den Scheiß am Valentinstag geben müssen. Ja, ich bin einfach nur emphatisch und kämpfe für einen selbstmordfreien Valentinstag für Singles. Das frage ich mich auch schon immer: Wann bringen sich mehr Menschen um? An Weihnachten oder am Valentinstag? Denn kennen wir das nicht alle? Die Zeit, in der da einmal eine Liebe kaputt gegangen ist? In der wir traurig und verzweifelt waren? Am Boden zerstört und unglaublich nah am Wasser gebaut? Früher, da war alles anderes und meines Erachtens auch einfacher. Da musste man sich die Liebe der anderen nur im Fernseher und öffentlichen Leben anschauen. Ist man nicht raus und hat die Glotze nicht angeschaltet, hatte man seine Ruhe. Jetzt sind wir in diesem scheiss Web-2.0-Zeitalter angekommen und man muss das nicht nur in der U-Bahn und auf dem Weg zum Supermarkt oder der Arbeit ertragen. Jetzt kommt die ganze Scheisse auch noch in deine Wohnung. Via Facebook. Wahrscheinlich gibt es keine Plattform, auf der die lieben Liebenden sich so toll zueinander bekennen können und du als Verlassener jeden Tag erneut einen kleinen Stich ins Herz bekommst. Kein Wunder, dass es dadurch so viele Eiterwunden der Liebe gibt. Wenn immer und immer wieder hinein gestochen und herumgerührt wird und es gar keine Zeit gibt, dass sich mal ein Grind bildet oder endlich so eine verdammte Narbe. Meistens ist da so jemand und der hat nicht beiderseits einvernehmlich mit euch Schluss gemacht, was ihr äußerst scheiße findet, weil euer Herz noch daran hängt. Nennen wir ihn Peter. Natürlich seid ihr auch auf Facebook befreundet und irgendwie wäre es ja kindisch, den anderen einfach zu löschen. Man interessiert sich ja noch für ihn. Deswegen entscheidet ihr euch lieber für die Qual, gebt 3 – 30 mal am Tag seinen Profilnamen in das Suchfeld ein und schaut, was er so macht. Der erste Schock kommt bald. Es beginnt mit: Peter ist in einer Beziehung mit Yvonne. Euer Magen dreht sich um, ihr fühlt euch, als hättet ihr zehn Tequila auf Ex getrunken und würdet am liebsten kotzen gehen. Dabei wünscht ihr euch, dass Yvonne mit dem Kopf aus der Kloschüssel guckt und ihr euren Mageninhalt auf ihrer Visage entleeren könnt. Ihr kennt sie nämlich und zufällig seid auch mit ihr auf Facebook befreundet und da fängt der Terror erst richtig an. Plötzlich sind alle Kommentare, Beiträge und „Gefällt mir“ auf Peters Seite von Yvonne. Man kommuniziert öffentlich, wann man das nächste Mal skyped, an den anderen denkt, sich den Sack krault, seine Tage hat, den Finger ins Nutellaglas steckt. Es gibt nur noch diese beiden Menschen in der virtuellen Welt des Internets, die wohl gar nicht miteinander telefonieren wollen, sondern ihre ganze Liebe durch Posts und Likes und Kommentare zeigen und anderen, vor allem Expartner, damit in den Wahnsinn treiben. Jeder Gang zum Laptop ist wie der Weg zu Steinigung. Jedes Aufrufen der Profilseite von Peter eine kleine Giftspritze. Warum löscht man ihn nicht einfach? Warum tut man sich das Tag für Tag über Wochen hinweg an? Weil man denkt, man braucht das zum „Verarbeiten“. Um klar zu kommen, frei nach dem Motto: Wenn ich auf seine Profilseite gehe und nicht mehr weine, dann habe ich es überwunden. Meines Erachtens, der Höhepunkt des Grauens: Ein gemeinsames Profilbild von Peter und dieser Schlampe. Das ist auch der Punkt, an dem es reicht. Mehr kann man sich nicht selbst foltern. Sich jeden Tag aufs Neue geben, wie der Exliebhaber der Neuen mit aufgerissenen feuchten Speichelmund seine Lippen drauf presst. Früher, da hat man sich gewünscht die beiden nie, nie, nie so in der Öffentlichkeit zu sehen, weil man sonst einen Nervenzusammenbruch bekommt und auf der Stelle peinlich losheult. Jetzt bekommt man das ganze Programm mit einem Klick. Schön gemütlich zu Hause auf dem Sofa. Einziger Vorteil: Es ist nicht peinlich, wenn man losheult, man ist ja unter sich. An diesem Punkt gibt es nur zwei Wege. Der eine führt zurück ins normale Leben, der andere in die Psychatrie. Wenn man sich das weiterhin antut, dreht man durch, deswegen gibt es nur einen Ausweg: Löschen. Alle Leute löschen. Wenn man das schafft, hat man einen Friedensnobelpreis für seine Seele gewonnen. Dann kann man wieder frei sein, den Namen eingeben und keine weiteren Infos bekommen. Nur die Münder aufeinander sehen. Und das ist schließlich schon schlimm genug. Valentinstag wird hart für alle, die gerade verlassen wurden. Aber macht nicht den einen Fehler und geht auf die Facebook-Profilseite des Verflossenen. Denkt daran: Jedes Mal, wenn ihr einen Typen oder eine Tussi auf Facebook stalkt, merkt sich das das soziale Netzwerk und ihr werdet diese Person nie, nie, nie wieder los. Sie wird immer an erster Stelle erscheinen, wenn ihr den Anfangsbuchstaben eingeht. Bis das der Tod euch scheidet. Danke, Facebook. Du hast mir das Leben wirklich erleichtert. Nicht.

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